Künstler spielen "Schiffe versenken"

Ausstellung in Rostock will Betrachter einbeziehen

Rostock. Ein jedes der Porträts hat in den drei Reihen zu je fünf Quadraten seinen zugewiesenen Platz: Marinesoldaten unterschiedlicher Dienstgrade. Ohne dass man die Abzeichen an der Uniform sehen könnte, unterscheidet man ihre Stellung in der Hierarchie. Die Befehleunterschreiber, die Befehlegeber und die Befehleausführer. Einer der fünfzehn blauen Jungs lächelt etwas, er sieht aus, als hätte es ihn von einem Dorf im Bayrischen Wald zur Marine verschlagen: freundliche Segelohren, breite Nase.

Er hängt auf A5. Kreuzt der Gegner A5 an - Treffer, versenkt - dann geht ein Brief in das Dorf im Bayrischen Wald. "Schiffe versenken" heißt das harmlose, simple Spiel. "Schiffe versenken" heißt auch die Ausstellung der Künstlergruppe Broschwitz, die sich zu Pfingsten vergangenen Jahres in einer Scheune in Bröllin bei Pasewalk zum ersten Mal ihrem Thema widmete: Schiff/Schiffswrack/Meer.

Die fünf Künstler (...) haben sich nur auf das quadratische Format geeinigt: entweder 40 x 40 oder 125 x 125 Zentimeter groß. Ansonsten geht jeder auf seine Weise an das Thema heran: Schrift, Gesichter, Luftaufnahmen, alte Fotos, neues und altes Kriegsspielzeug gehören zum Inspirationsmaterial. Diese Quadrate sind praktisch: Jede Ausstellung sieht anders aus. Die Beziehungen zu den Räumen entstehen immer neu, und auch der Kontext der Bilder untereinander. "Unsere eigentlichen Gesamtkunstwerke, die Felder aus verschieden ausgefüllten Quadraten, entstehen erst, wenn wir die Bilder aufhängen", erzählt Inge X Husemann. "Das Bild des einen stellt eine Frage, ein anderes antwortet darauf. Und dann findet natürlich jeder Besucher seine eigenen Verbindungen zwischen den Bildern." So wird auch das Betrachten zu einem künstlerischen Akt. Man muss sich nur etwas Zeit nehmen.

(...) "Das Material weitet sich immer weiter aus. Man kommt vom Giftgas zum Kriegsspielzeug weiter zum U-Boot-Krieg und zur Marine-Romantik. Es nimmt einfach kein Ende", sagt Inge X Husemann. "Man wird plötzlich hellhörig, wieviel von diesen Kriegen in unserem Alltag steckt, dort, wo man es gar nicht vermutet." Das Projekt "Schiffe versenken" ist für die Künstler noch lange nicht beendet. In diesem Jahr ist wieder eine Arbeitswoche in Peenemünde geplant. Inge X Husemann: "Jeder von uns darf mit seinen Bildern umgehen, wie er will: Wegwerfen, übermalen, Neues ausprobieren. Wir sehen einander auch beim Arbeiten zu, aber niemand redet dem anderen dazwischen."

Dabei sind die rostenden Giftgasgranaten in der Ostsee nicht nur konkrete Bedrohung, sie werden auch Metapher: Kampfstoffe lagern auf dem Grunde der Gesellschaft. Auf einem kleinen Quadrat in der Ausstellung wird die braune, ölige Substanz von Senfgas erläutert und einem Text über Bernstein gegenübergestellt: "Bernstein wird aus den eiszeitlichen Ablagerungen oder den Resten braunkohlezeitlicher Schichten herausgespült, wenn der Sturm das Wasser kräftig bewegt." (...)

 

  © Frank Schlösser
Rostocker Zeitung, 30.1.2001