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Die giftige Erblast auf dem Grund der Ostsee
Ausstellung im Umweltbundesamt über gefährliche Altlasten
Schiffe versenken - heute zum Glück nur noch ein Spiel für Kinder, eines
mit einem zynischen Namen freilich. Denn in der ersten Hälfte des 20.
Jahrhunderts starben wirklich Tausende von Menschen an dem echten "Spiel"
infantiler Lamettaträger. "Schiffe versenken" ist aber auch der Titel einer
Ausstellung im Umweltbundesamt, die sich genau dieses Zwiespalts sehr
bewusst ist. Und sie will darüber hinaus darauf aufmerksam machen, dass uns
die Folgen des bösen Spiels noch große Sorgen verursachen können.
Es geht um Kampfstoffe allgemein, und zwar um solche, die nicht nur mit den
Schiffen auf den Grund der Ostsee gesunken sind, sondern vor allem nach Ende
des Zweiten Weltkriegs ins Meer gekippt worden sind. Die Anweisung dazu kam
von den Siegermächten - angesichts des zerstörten Landes gab es wohl auch
kaum einen anderen Weg, das Zeug so loszuwerden, dass niemand mehr
herankommt. Und so fielen die Giftgranaten ins Wasser des Skagerrak, des
Kattegat, des Kleinen Belts sowie der Gebiete um Bornholm, südöstlich der
Insel Gotland und des Finnischen Meerbusens.
Die aus Kreuzberg stammende Künstlergruppe Broschwitz (Karin Christiansen,
Sabine Drasen, Inge Husemann, Natalie Friedinger und Roland Kreuzer) hat
sich vor knapp zwei Jahren dieses Themas angenommen, um das es in den
vergangenen Jahren wieder recht still geworden ist. Ihre beklemmenden
Gemälde waren schon in Stralsund, Rostock, Greifswald sowie in Peenemünde zu
sehen.
Was zu DDR-Zeiten noch im Sperrgebiet lag, musste Anfang der 90er Jahre
beräumt werden. Aber nun ist ein Zustand vielleicht trügerischer Ruhe
eingetreten. Die Gewässerqualität der Ostsee wird kontrolliert,
Forschungsschiffe sind unterwegs und melden ihre Daten ans Bundesamt für
Seeschifffahrt und Hydrografie, beim Umweltbundesamt wird eine
Meeresumweltdatenbank geführt - der aktuelle Zustand ist gut belegt.
Genaue Giftmengen unbekannt
Ob der aber weiterhin so bleibt, oder sich womöglich schlagartig ändern
kann, vermag niemand mit Sicherheit zu sagen. Schon die Schätzungen, um
welche Größenordnungen es geht, variieren stark: Eine
Bund-Länder-Arbeitsgruppe schätzte 1993 diese Menge auf höchstens 65 000
Tonnen. Greenpeace hingegen spricht von bis zu 350 000 Tonnen dieser
Militäraltlasten. Unbekannt ist überdies, welche Mengen vor allem östlich
von Bornholm ins Wasser gelangten, wie viel Gift schon auf dem Weg von
Wolgast, Karlshagen und Peenemünde über Bord gegangen ist.
Darüber hinaus hatte man in den ersten Monaten der "Entsorgungs"-aktionen
die tödliche Fracht mitsamt ihrer hölzernen Transportgestellen ins Wasser
geworfen, einiges davon dürfte also zumindest anfangs so viel Auftrieb
bekommen haben, dass es sich weit verteilte. 1954 soll auf Rügen eine
Giftgasbombe angeschwemmt worden sein, und im Wolgaster Hafenbecken wurden
1964 etwa 460 Tabun-Granaten gefunden.
Auch die DDR kippte zwischen 1952 und 1965 hunderte von Tonnen Kampfstoffe
in die See. Vor allem im Bereich um die dänische Insel Bornholm ziehen nun
Fischer immer wieder einmal Giftklumpen mit dem Fang hoch. Immerhin sind die
gefährlichen Gebiete auf den Seekarten eingezeichnet, die Fischer müssten
die Bereiche meiden.
"Alles lassen, wo es ist"
Die erwähnte Arbeitsgruppe des Bundes und der Länder kam zu dem Schluss, es
bestünde keine Gefahr für Mensch und Umwelt. Es sei besser, die Stoffe zu
lassen, wo sie sind. Eine internationale Kommission beschloss 1988, etwaige
Zufallsfunde wieder ins Meer zu kippen, was denn auch immer wieder einmal
geschieht. Das Problem dabei sind nicht nur die immensen Kosten - so liegen
die Behälter in Tiefen bis zu 1000 Metern. Richtig kompliziert würde eine
Bergung vor allem, weil die Hüllen bei der geringsten Berührung
auseinanderbrechen dürften. Drittens bliebe die Frage, was man mit den
Funden machen sollte: es gibt ja kaum Entsorgungswege.
Umstritten ist jedoch, ob die Gifte wirklich am Meeresboden bleiben, wenn
die Hüllen zerfressen sind. 1992 wurden vor Bornholm Gasblasen gesichtet,
die sich zwar als Schwefel- und Methanverbindungen entpuppten, also
natürlichen Ursprungs waren. Diese Bläschen aber, so befürchten
Wissenschaftler, könnten Kampfstoffpartikel vom Boden in bewegte
Wasserschichten hineinreißen.
Die Hoffnung, dass sich das Material im Meerwasser zersetzt und unschädlich
wird, ist recht gering. Arsenverbindungen bleiben ebenso giftig wie Chlor-
und Cyanverbindungen. Genetiker weisen darauf hin, dass ein Teil der Stoffe
das Erbgut schädigt.
Obenan auf der Liste der Chemikalien im Meer steht das Lost (bekannt auch
als Gelbkreuz oder Senfgas, eine organische Verbindung mit Chlor und
Schwefel, später statt des Schwefels Stickstoff). Dann das Lewisit (eine
organische Verbindung mit Chlor und Arsen) und das Phosgen (das nichts mit
dem Element Phosphor zu tun hat, sondern aus Kohlenmonoxid-Dichlorid
besteht). Zudem gab es das Clark I (Diphenylarsinchlorid). Diese Stoffe
stammen aus dem Ersten Weltkrieg, es sind Haut- und Atemgifte. Aus den
Nervengiftküchen des Zweiten Weltkrieges hingegen stammt Tabun, eine
kompliziertere organische Verbindung, die die Weiterleitung von Reizen an
den Nervenknoten (Synapsen) unterbricht. Ähnlich wirkt Sarin.
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